Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat entschieden. Die Stadt darf die Folgeunterkunft am Anzuchtgarten in Klein Borstel weiterbauen und betreiben.
Damit endet auch hier vorläufig das Tauziehen zwischen dem Senat und einigen klagenden Anwohnern. Gleichzeitig stärkt das Gericht mit seinem Urteil das bundesweit seit Herbst 2015 geltende neue Baurecht für Flüchtlingsunterkünfte. Dessen Paragraf 246 gestattet den Bau von Unterkünften zur Flüchtlingsunterbringung, selbst wenn noch kein gültiger Bebauungsplan vorliegt. Der Senat kann damit erneut in letzter Instanz einen Erfolg verbuchen. Zuvor hob das OVG auch schon in Lemsahl und Blankenese die Baustopps auf, die durch Anwohnerklagen erreicht wurden.
Im März hatte das Verwaltungsgericht einen noch gültigen Baustopp verhängt. Damit hatten bereits zum wiederholten Mal die Kläger des Vereins „Lebenswertes Klein-Borstel“ einen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht erzielt und den Bau der Unterkunft für rund 700 Geflüchtete zunächst verhindert. Die aktuelle Pressemitteilung über das Urteil vom Verwaltungsgericht vom 10.März 2016 findet sich hier. Der Link zum Urteil des Verwaltungsgerichtes ist hier zu finden.
Zwischenzeitlich hatte eine Verfügung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) der Stadt zumindest Erdarbeiten auf dem Gelände erlaubt. Diese sind inzwischen fast abgeschlossen.
Der Verein Klein Borstel hilft hält sich aus der Diskussion über Größe der Unterkunft und den Rechtsstreit öffentlich heraus. Die Mitglieder und Unterstützer sind seit Monaten mit der aktiven Flüchtlingsarbeit beschäftigt, die vor allem in der „Begegnungsstätte Pastorat“ stattfindet. Das zweimal pro Woche geöffnete „Café“ ermöglicht Begegnungen und Austausch. Sprachkurse, auch mit Kinderbetreuung, Patenschaften, gemeinsames Gärtnern, Kochen, eine Fahrradwerkstatt und einiges mehr sorgen für erfolgreiche Integration. Die Aktivitäten kommen derzeit vor allem den rund 90 Bewohnern der langjährigen Folgeunterkunft „Borstels Ende“ zu Gute. Diese liegt zwar offiziell im Bezirk Wandsbek, gehört aber durch die räumliche Nähe „gefühlt“ zu Klein Borstel.

Anlässlich des Feiertages musste das „Haft Sin“ vorbereitet werden. Dabei handelt es sich um sieben Elemente, die auf einem festlichen Tisch angerichtet werden. Wichtig ist, dass alle Bestandteile mit dem persischen S beginnen, denn sie haben eine tiefere Symbolik: Sabzeh: Weizen-, Gersten- oder Linsensprossen (als Symbol der Munterkeit), Samanou: ein Pudding aus Weizen (Wohltat und Segen), Sir: Knoblauch (Schutz), Senjed: Mehlbeere (Saat des Lebens), Serkeh: Essig (Fröhlichkeit), Somagh: Gewürzsumach (Geschmack des Lebens) und Sib: Apfel (Gesundheit). Auch die Dekoration des Tisches für das „Haft Sin“ ist vorgeschrieben: Sonbol: Hyazinten (Freundschaft), Sekeh: Goldmünzen (Wohlstand), Aiineh: Spiegel (Reinheit und Ehrlichkeit), Sham: Kerze (Feuer), Tokhm morgh rangi: Bemaltes Ei (Fruchtbarkeit), Mahi ghermez: Goldfisch im Wasser (Glück), Ketab: Buch (Weisheit).
Nouruz
So wurde im März auch gemeinsam das persische Neujahrsfest Nouruz gefeiert. Seit etwa 3000 Jahren begehen über 300 Millionen Menschen weltweit das Nouruz-Fest. Es ist außerdem seit 2010 von den Vereinten Nationen als Internationaler Tag anerkannt. Die Feierlichkeiten dauern insgesamt 13 Tage, und der Beginn ist immer der Frühlingsanfang – so wie ihn der Sonnenstand vorgibt. In der wörtlichen Übersetzung bedeutet Nouruz soviel wie „Neuer Tag“. Man kann es aber auch mit „Neues Licht“ übersetzen. Das Fest ist damit auch eine Hommage an das Licht des Frühlings, das Leben spendet. Das Fest soll Freude machen und Konflikte beenden. Außerdem erfolgt eine gebührende Würdigung der älteren Generation. Es ist damit auch ein Fest der Freundschaft und der Solidarität.
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Neuer Bebauungsplan
Parallel zum Warten auf eine gerichtliche Entscheidung, hatte die Stadt einen neuen Bebauungsplan beantragt. Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord beschloss den Beginn des Verfahrens ohne Gegenstimme. Ziel ist, auf dem Gelände am Ohlsdorfer Friedhof wie geplant eine Folgeunterkunft für bis zu 700 Flüchtlinge zu schaffen. Der Bebauungsplan Ohlsdorf 12 sieht auf dem Gelände bisher nur „eine gärtnerische und friedhofsbezogene Nutzung“ vor. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte Ende Oktober einer Klage direkter Anwohner recht gegeben und entschieden, dass geltendes Baurecht nicht durch Anwendung des Polizeirechts außer Kraft gesetzt werden dürfe.
Bezirksamtsleiter Harald Rösler hatte dann am 4. Dezember mit einem Schreiben die Bewohner in Klein Borstel über einige Änderungen hinsichtlich der Bauplanung der Unterkunft informiert. In dem Schreiben heißt es: „Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wurden zwischenzeitlich mehrere nachbarschaftsverträgliche Verbesserungen entwickelt. Die Erschließung der Anlage soll nunmehr über die Große Horst verlaufen, nicht mehr über den Erna-Stahl-Ring. Über den Erna-Stahl-Ring kommen dann nur noch Fußgänger, Radfahrer, die wöchentliche Müllabfuhr und notfalls die Feuerwehr. Die Zahl der Kfz-Stellplätze in der Anlage wurde auf das unabdingbare Mindestmaß reduziert, die räumliche Aufteilung der Freiflächen angepasst und das Abschirmgrün zum Erna-Stahl-Ring hin verbreitert. Außerdem bereitet die Stadt die Ertüchtigung sozialer Infrastruktureinrichtungen vor, z.B. in Form von zusätzlichen internationalen Vorbereitungsklassen. So lange vor Gericht gestritten wird, gibt es daneben keine Verhandlungen, abgesehen davon, dass zudem die Zahl von 700 Unterkunftsplätzen aus städtischer Sicht nicht zur Disposition steht, sondern das Ergebnis eines vorausgegangenen Abwägungsprozesses ist.“
Thomas Domres, SPD Fraktionsvorsitzender im Bezirk Nord betonte: „Wir wollen gewährleisten, dass die Geflüchteten ein sicheres und trockenes Dach über dem Kopf bekommen und angemessen Wohnen können. Die aktuelle Unterbringung in Baumarkthallen ist der Not geschuldet, aber kein Dauerzustand. Wir wissen, dass der Stadt und seinen Bewohnern aufgrund der akuten Situation ein Kraftakt abverlangt wird. Jeder Stadtteil ist aufgerufen, seinen Teil beizutragen.“ Für die SPD-Fraktion Hamburg-Nord sei klar, dass es keinesfalls darum gehe, Beteiligung zu verhindern. „Angesichts der anhaltend hohen Anzahl an Geflüchteten arbeitet die Zeit nicht für uns. Die Menschen in Klein Borstel kennen die Pläne zum Bau der Unterkünfte bereits und haben darüber hinaus im Zeitraum der einmonatigen gesetzlich vorgeschriebenen Auslegung des Bebauungsplans Ohlsdorf 29 die Möglichkeit, ihre Hinweise einzubringen. Wir werden uns im gebotenen Abwägungsverfahren sehr sorgfältig mit den Einlassungen der Bürgerinnen und Bürger befassen.“ schließt Domres.
Die CDU-Nord kritisiert das Vorgehen der Bezirksversammlung: „SPD und Grüne lassen sich vom Senat instrumentalisieren. Obwohl in der Bürgerfragestunde zahlreiche besorgte Anwohner aus Klein Borstel kamen, um ihren Unmut über die bisherige mangelhafte Informationspolitik Luft zu machen, beschloss Rot-Grün, die Öffentlichkeit bei der Änderung des Bebauungsplans auszuschließen.“
Demonstration im November
Anfang November waren in Klein Borstel rund 1000 Menschen gegen den verhängten Baustopp am Anzuchtgarten auf die Straße gegangen. Organisiert wurde die Demonstration von drei Jugendlichen aus dem Stadtteil.
Gerade ein privilegierter Stadtteil wie Klein Borstel, der für Wohlstand und Bildungsbürger stehe, müsse in der Lage sein, auch eine größere Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen und deren Integration zu unterstützen – so der allgemeine Tenor. Der Beitrag vom NDR Hamburg Journal (auf YouTube) über die Demonstration findet sich hier.
Der Verein „Klein Borstel hilft“ war mit zahlreichen Anhängern auf der Demonstration vor Ort, beschäftigte sich aber bis Dezember 2015 vor allem mit der Versorgung von täglich bis zu 45 Geflüchteten, die im ehemaligen Pastorat der Kirchengemeinde Maria Magdalenen unterkamen. Sie gehörten zu den Transit-Flüchtlingen, die am Hamburger Hauptbahnhof strandeten und abends eine Schlafmöglichkeit benötigten. Dank riesiger Unterstützung und unzähligen Sachspenden aus dem Stadtteil war es möglich, innerhalb weniger Stunden eine Notunterkunft komplett einzurichten, die täglich von zahlreichen Helfern versorgt wurde.

In nur drei Stunden schaffte es Klein Borstel im Pastorat Schlafplätze für 45 Geflüchtete zu schaffen und die Schränke mit ausreichend Lebensmittel und Sanitärartikeln zu füllen.
Hintergrund: Es handelt sich bei der Bebauung der gut 1,8 Hektar großen Fläche des verbliebenen Anzuchtgartens um eine rund 18 Millionen teure „Notmaßnahme“ zur Errichtung einer Folgeunterkunft für 700 Geflüchtete und Obdachlose. Wegen des massiven Anstiegs von Flüchtlingen und fehlenden Unterkünften hat der Senat bereits im September 2014 auf das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) – auch Polizeirecht genannt – zurückgegriffen. Das SOG räumt allen Fachbehörden die Möglichkeit ein, bei “Gefahr im Verzug“ Maßnahmen zu ergreifen, „um bevorstehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren“. Dies bedeutet, dass Maßnahmen zur Erweiterung der öffentlich rechtlichen Unterbringung beschlossen und nach den erforderlichen Bau- und Umbaumaßnahmen in Betrieb genommen werden, ohne dass zuvor ein Baugenehmigungsverfahren nach der HBauO oder ein Anhörungsverfahren nach § 28 BezVG durchgeführt wird.
Hamburg muss bei der Flüchtlingsunterbringung seinen Anteil leisten – nach dem „Königsteiner Schlüssel“ rund 2,5 Prozent der Gesamtzahl der nach Deutschland einreisenden Asylbewerber. Geplant waren am Anzuchtgarten – in zwei Bauabschnitten – 13 neue Gebäude – in Modul-Containerbauweise. Die sechs Gebäude nördlich zum Erna-Stahl-Ring und westlich zweigeschossig, weitere sieben Gebäude auf der Friedhofsseite und östlich mit drei Geschossen. Zusätzlich sollte das auf dem Gelände in der nord-östlichen Ecke bereits stehende Gebäude zu einem Verwaltungsbereich umgebaut werden, in dem die 14 Mitarbeiter für Sozialarbeit und Technik (Hausmeister) ihre Büroräume haben. Daneben befindet sich ein kleines Gebäude, in dem Waschmaschinen untergebracht werden. Der Baumbestand soll so gut wie möglich erhalten bleiben – um die Häuser ist viel Rasenfläche und auf der östlichen Seite ein kleiner Spiel-/Sportplatz geplant. Die Arbeiten am ersten Bauabschnitt mit fünf Wohnblöcken am Erna-Stahl-Ring haben begonnen. Eine Gas-Heizungsanlage ist auf dem Gelände bereits vorhanden und wird ausgebaut. Strom und Wasserleitungen werden neu verlegt.
Nach der Infoveranstaltung zur Flüchtlingsunterkunft am Anzuchtgarten hat die BASFI die Präsentation online gestellt. Interessierte finden sie hier.